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Diagnostik im Kindesalter

Diagnostik bedeutet Detektivarbeit und die Übernahme von Verantwortung.

Uns werden Kinder mit einem bestimmten Verhalten anvertraut, das wir enträtseln, verstehen, zuordnen sollen.

Dabei sollten ehrlich zu uns sein: sind wir schon soweit anhand der bestehenden Daten eine Diagnose zu stellen? Sind wir wirklich sicher bzw. fühlen wir uns wohl mit der Diagnose, weil wir hinter ihr stehen?

Diagnosen werden oft nicht mehr gelöscht und können eine große Wirkung haben. Umso sicherer sollten wir uns sein.

Verwenden wir gute Messverfahren, hinter denen wir stehen und die uns einen Mehrwert bilden.

Sind wir bereit uns zu korrigieren und dazuzulernen?

Folgende Ideen und Effekte können dazu beitragen, Ihre Diagnostik zu optimieren.

Wenn Diagnosen im Raum stehen: Wissenswertes rund um die Diagnostik im Kindesalter
Diagnostik bedeutet Wissenschaftlichkeit und Intuition zusammenzubringen! Wenn man keine seriösen Verfahren verwendet, überlässt man vieles dem Zufall.
Kennen Sie folgende Würfel, bei denen man alle 6 Teile richtig zusammensetzen muss.
Manchmal passen sogar 5 und das sechste nicht. Was macht man dann: es einfach unter den Tisch fallen lassen? Sich mit 5 Teilen zufrieden geben? Nein, man baut alles wieder auseinander und setzt es neu zusammen, denn alles muss passen. Und wenn eines nicht passt, war die Grundannahme verkehrt. Also alles noch einmal.
Diagnostik gleich diesem Prozess. Es bedeutet Detektivarbeit, bei der alle Puzzleteile passen müssen.


Der Fall Konrad
In einem Pädagogik & Psychologiebuch wird der Fall eines Schülers aufgeführt. Er zappelt, ist unkonzentriert, erledigt seine Hausaufgaben nicht. Der Fall steht unter der Überschrift ADHS.
Passt doch alles ganz wunderbar zusammen... oder etwa nicht?
Was wir noch erfahren ist, dass er unleserlich schreibt, dass er seine Fehler nicht suchen will, wenn er auf sie hingewiesen wird und dass er eine gute Auffassungsgabe hat.
Hier stehen somit noch zwei weitere Möglichkeiten im Raum: 1. Sehprobleme (Weitsichtigkeit- die Kurzsichtigkeit fällt meistens schon früher auf, aber die Weitsichtigkeit wird bei den U-Untersuchungen nicht standardmäßig geprüft) d.h. er kann einfach, was er schreibt nicht richtig sehen oder eine (Hoch-) Begabung.
Was? Das wäre ja quasi das Gegenteil von der ersten Annahme?
Ja, im Grunde schon- denn ein begabtes Kind kann sich sehr wohl lange und gut konzentrieren, wenn die vorgelegten Aufgaben spannend genug sind (es kann aber trotzdem aus Langeweile die gleichen Auffälligkeiten wie ein ADHS-Kind zeigen: Impulisivtät, um den Unterricht voran zu treiben, Hyperaktivität/Konzentrationsprobleme aus Langeweile).
D.h. hier wurden ein paar Puzzleteile einfach nicht beachtet, die zu anderen Ursachen hätten führen können.

Die Wahrheit steht nicht unbedingt im ICD
Das ICD ist eine Liste von Störungsbildern, durch die man mit der Kasse abrechnen kann. D.h. aber nicht, dass dort alles steht, was mit dem Kind sein kann. Viele "normale" Ursachen tauchen hier garnicht auf. "Normale" Ursachen werden aber oft eher die Ursache sein, als ein Störungsbild.

Das Symptom ist nicht (!) die Diagnose
Manchmal wird vom Fachpersonal bei Konzentrationsproblemen ein Konzentrationstest und/oder IQ-Test durchgeführt.
Konzentriert sich das Kind dann nicht, scheint die Diagnose bestätigt. Hier verwechselt man aber Symptom und Ursache. Das einzige, was dadurch bestätigt werden kann, ist das Symptom. WARUM sich das Kind nicht konzentriert hat, ist somit noch nicht geklärt.

Energietopf
Ein Kind (und auch Erwachsene) besitzen so etwas wie einen Energietopf d.h. durch ihn wird Entwicklung vorangetrieben.
Dieser Topf ist aber begrenzt d.h. wenn Ihr Kind Auffälligkeiten in einem Bereich zeigt, gibt es dafür verschiedene Möglichkeiten
a) es entwickelt sich gerade in anderen Bereichen: es kann sogar sein, dass ein Fortschritt in einem Bereich zu einem Rückschritt in einem anderen führt, davon unten mehr
b) Sorgen, Belastungen, Sondersituationen verhindern die Entwicklung
c) es braucht wirklich Förderung
Unterschiedliche Entwicklungsbereiche und ihre Dynamiken
Es gibt verschiedene Bereiche der Entwicklung: z.B. Sprache, Motorik (Bewegung), Soziales (Zwischenmenschliches), Emotionen (Gefühle), Kognitionen (Denken)
Je nach Alter und Stand investiert das Kind sozusagen Energie und entwickelt sich weiter.
Dabei interagieren die Bereiche auch untereinander. Bsp. wenn Kinder sich kognitiv schnell und quasi sprunghaft entwickeln, kann es sie so verunsichern, dass sie in der emotionalen Entwicklung scheinbar (!) Rückschritte machen. Sie möchten an der Hand gehen, im Bett schlafen, das Fläschchen, Schnuller oder die Schuhe zugebunden bekommen. Kurz gesagt: sie möchten emotional tanken, um dem Entwicklungsschritt gewachsen zu sein.
Es ist so als wären wir in einem fremden Land unterwegs und wären nur mit einem einzigen Menschen dort. Die Sprache ist uns fremd, die Gestiken, Bräuche, die ganze Kultur. Vielleicht würden wir auch näher an diesen rücken, um uns sicherer zu fühlen.
Kinder steuern ihre Entwicklung nicht selbst, wenn sie bereit sind, sondern es ist das Gehirn, das sich ungefragt weiterentwickelt. Dann können sie mehr sehen, besser hören, komplexer denken. All das kann aber auch verunsichern.

Unterschiedliche Schweregrade von Ursache und Folge
Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Diagnosestellung ist die Idee der unterschiedlichen Schweregrade.
Wir meinen oft bei schweren psychischen Problemen auch schwere psychische Ursachen vorliegen zu haben. Das muss aber nicht sein.
Nehmen wir ein Beispiel: Susanne ist 8 Jahre und trinkt nicht viel.
Lassen wir ein wenig Zeit vergehen... was könnten die Folgen sein: sie ist schulisch unkonzentriert, merkt sich die Dinge nicht so gut und ist vielleicht etwas gereizt.
Lassen wir noch mehr Zeit vergehen: die fehlende Konzentration hat zu vielen Leichtsinnsfehlern und schlechten Noten geführt. Sie ist enttäuscht und das Selbstvertrauen sinkt. Andere Kinder lachen sie aus, weil sie sich viel weniger merken kann. Sie ist gereizt und hat soziale Schwierigkeiten. Sie zieht sich innerlich zurück.

Eltern könnten dann zu uns kommen mit großen Problemen im Sozialverhalten, den schulischen Leistungen, dem Temperament.

Wie weit weg und fast unglaublich klingt nun die Frage: trinkt sie denn genug?

Sie wirkt zu klein, zu banal angesichts der großen Probleme, die bestehen.

Aber diese Ambivalenz kann es geben: kleine Ursachen mit großen Folgen, wenn man sie nur lange genug wirken lässt- und auch das Gegenteil ist möglich: große Ursachen z.B. Mobbing, von denen man kaum etwas merkt. Das Kind hält alles unter Verschluss und man würde ihm nie anmerken, wieviel es eigentlich jeden Tag ertragen muss.

Es ist also jede Kombi möglich:

- schwere Ursachen, schwere sichtbare Folgen

- schwere Ursachen, kaum sichtbare Folgen

- leichte Ursachen, schwere Folgen

- leichte Ursachen, leichte Folgen

 
 
 
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